Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/httpd/vhosts/lalecheleague.ch/elternzeitschrift.org/libraries/cms/application/cms.php on line 464 2010/03 Ein ganz normales Risiko

Menschen tendieren dazu, sich an dem zu orientieren, was ihnen als „normal“ erscheint. In Bezug auf den Umgang mit Babys gehören in unserer Gesellschaft Flasche, Schnuller und künstliche Säuglingsnahrung zur Normalität, was sich nicht zuletzt an der immer wiederkehrenden Frage „willst Du stillen oder Flasche geben?“ zeigt.

Nach wie vor wird empfohlen, Babys sechs Monate lang ausschliesslich zu stillen, und prinzipiell wird Muttermilch als optimale Nahrung für Säuglinge betrachtet. Das besagt auch der auf der Packung von Säuglingsnahrungspulver aufgedruckte so oder ähnlich lautende Text: „Stillen ist das Beste für Ihr Baby. Sprechen Sie bitte mit Ihrer Klinik oder Ihrem Kinderarzt, wenn Sie eine Säuglingsanfangsnahrung verwenden wollen.“

Nun ist das Stillen nicht nur nachgewiesenermassen die optimale Ernährungsform für Babys, es schliesst sich auch als natürliche Form der Ernährung an die Schwangerschaft an und ist weit mehr als eine reine Nahrungsverabreichung. Da sollte man doch denken, dass Stillen „normal“ und Nicht-Stillen die Ausnahme sei. Doch weit gefehlt! Nach wie vor wird in Ratgebern zur Schwangerschaft werdenden Müttern empfohlen, sich mit Flaschen und Saugern sowie einer Packung künstlicher Säuglingsnahrung einzudecken – falls das Stillen nicht klappt. Nach wie vor sind auf unzähligen Geburtsanzeigen und Glückwunschkarten zur Geburt eines Babys selbstverständlich Flaschen abgebildet. Sogar als Hinweis für einen Stillraum an einem Flughafen wurde schon das Piktogramm einer Flasche gesichtet. In den Köpfen vieler Menschen ist es also „normal“, dass ein Baby die Flasche und nicht die Brust bekommt.

Auch in den Köpfen von vielen Wissenschaftlern wird offensichtlich nicht das Stillen, sondern die künstliche Säuglingsnahrung als Norm betrachtet – mit Folgen für die Information der Öffentlichkeit. Die Pressemitteilung zu der Studie von Carlsen und Kollegen (1,2) aus Norwegen zu Beginn des Jahres, in der die Autoren sich zu der Behauptung versteigen, dass „künstliche Säuglingsnahrung ebenso gut ist wie Muttermilch“ und die „Vorteile der Muttermilch überbewertet werden“, fand sich unreflektiert in fast jeder Tageszeitung wieder.

Nur kurze Zeit später wird in einer angesehenen medizinischen Zeitschrift eine Übersichtsanalyse aus Studien veröffentlicht, die sich mit den Risiken der künstlichen Säuglingsnahrung insbesondere in den Industrienationen beschäftigen (3). Dabei fällt den Autoren auf, dass in vielen dieser Studien nicht das Stillen als Norm angesehen wird, sondern die Ernährung mit künstlicher Säuglingsnahrung. Sie stellen fest, dass das Stillen als etwas betrachtet wird, was Vorteile bringt, nicht jedoch als natürlich und selbstverständlich – nicht als normal.

Im Gegensatz zu der Veröffentlichung von Carlson und Kollegen schaffte es die Untersuchung von McNiel nicht in die Schlagzeilen der Tageszeitungen. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man sieht, zu welchem Schluss die Autoren kamen: dass das, was von weiten Teilen unserer Gesellschaft als „normale Säuglingsernährung“ angesehen wird, dann, wenn ausschliessliches Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten als Norm angesetzt wird, ein Risiko für die Gesundheit der Babys darstellt.

Denise Both

Quellen:

1. News Release, 6 January 2010. The Norwegian University of Science and Technology
2. Carlsen S.M, Jacobsen G, Vanky E. Midpregnancy androgen levels are negatively associated with breastfeeding. Acta Obstetrica and Gynecologica, 2010; 89: 87-94
3. McNiel, Melinda E.; Labbok, Miriam H.; Abrahams, Sheryl W.: What are the Risks Associated with Formula Feeding? A Re-Analysis and Review. Birth, Volume 37, Number 1, March 2010, pp. 50-58(9)