Die Milchbildung wird durch ein grossartiges Zusammenspiel verschiedenster Hormone der Frau reguliert. Das Baby beeinflusst diese Hormone durch sein Saugen. So entsteht ein Regelmechanismus, bei dem die Mutter immer genau so viel Mich produziert, wie das Baby braucht.
Die Milch beginnt zu fliessen
Unmittelbar nach der Geburt steigt der Spiegel der milchfördernden Hormone Prolaktin und Oxytocin stark an. Der Körperkontakt zwischen Mutter und Kind stimuliert die Ausschüttung dieser beiden wichtigen „Milchhormone“ zusätzlich. Im Idealfall darf das Baby in der ersten Stunde nach der Geburt erstmals an der Brust trinken. Das Neugeborene ist in dieser besonderen Stunde wach und aufmerksam. Es sieht in Mamas und Papas Augen, kuschelt sich in ihre Arme und ist bald bereit, erstmals zu trinken. So bekommt es einige Schlucke Kolostrum, häufig nur ein Fingerhut voll. Doch diese kleine Menge erster Muttermilch ist Gold wert: Für das Baby, das eine erste Dosis Abwehrstoffe bekommt, für die Milchbildung, die rascher in Gang kommt, und für die Frau, weil sich die Gebärmutter schneller zusammenzieht.
Milcheinschuss kann schmerzen
Am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt „schiesst“ die Milch ein. Dies ist für viele Frauen unangenehm, denn die Brust schwillt an, wird vielleicht heiss und spannt unangenehm. Es ist ein Zeichen, dass die Brust jetzt Milch in grösserer Menge bildet. Doch auch Frauen, deren Brüste nicht so stark anschwellen, bilden nun grössere Mengen an Muttermilch. Jetzt ist es besonders wichtig, dass das Baby häufig und uneingeschränkt angelegt wird. So können Komplikationen beim Milcheinschuss, beispielsweise ein Milchstau (siehe Seite 21) verhindert werden. Kühlen der Brust und Quarkwickel erleichtern vielen Frauen die unangenehmen Spannungsgefühle oder Schmerzen.
Etwa vier Tage nach der Geburt beginnt sich die Milch zu verändern. Nicht nur fliesst sie jetzt in grösseren Mengen, auch Farbe und Zusammensetzung werden anders. Es ist ein fliessender Übergang vom Kolostrum zur so genannten Übergangsmilch bis hin zur reifen Muttermilch, die die Frau ab etwa zehn Tagen nach der Geburt bildet.
Den individuellen Rhythmus finden
Das Baby trinkt am Morgen, zu Mittag, am Nachmittag, am Abend und in der Nacht. Zehn bis zwölf Mal in 24 Stunden verlangt ein Neugeborenes nach der Brust, manches Kind sogar noch häufiger. Das ist für Mama, die eben erst geboren hat, anstrengend, aber von der Natur so vorgesehen. Denn jeder kleine Mensch ist so „programmiert“, dass er dafür sorgt, dass die Milchproduktion rasch in Gang kommt und Mama genau die Menge Milch produziert, die das kleine Menschlein braucht, um seinen Hunger zu stillen. Dank des wunderbaren Naturgesetzes von Angebot und Nachfrage stimmt die Milchmenge immer, wenn das Baby nach Bedarf gestillt wird. Wenn es also immer trinken darf, sobald es nach der Brust verlangt und so lange trinken darf, wie es möchte.
Die Mutter eines Stillkindes weiss nie genau, welche Menge ihr Baby trinkt. Die Zeiten, als ein Kind vor und nach der Stillmahlzeit gewogen wurde, sind glücklicherweise längst vorbei. Es ist auch gar nicht nötig, exakt zu wissen, welche Menge das Kleine trinkt. Achtet die Mutter auf einige Entwicklungszeichen (siehe Kasten), so kann sie sich darauf verlassen, dass das Baby alles bekommt, was es braucht. Die Eltern dürfen ihrem kleinen Liebling vertrauen, dass er die Milchmenge trinkt, die er braucht – und dabei lernt, wie sich Hunger und Sättigung anfühlen.
Angebot und Nachfrage – ein Wunder der Natur
Das Prinzip von Angebot und Nachfrage ist ein Regulationswunder der Natur. Die Brüste passen sich dem wechselnden Bedarf des Babys an, sie produzieren über Monate immer genau so viel Milch, wie es braucht.
Zu wenig Milch ist daher fast nie ein Abstillgrund. Ist zu wenig Milch da, so braucht die Frau Hilfe beim Stillmanagement (siehe unten) und keine Flaschenmilch.
Das Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniert am Anfang vor allem über die Trinkmenge des Kindes. Deshalb trinken ganz kleine Babys zu Beginn auch so häufig – wenn man sie denn lässt. Und auch das so genannte Cluster-Feeding, das Dauerstillen am Abend, hat den Zweck, die Milchmenge zu steigern – und ist nicht ein Zeichen dafür, dass zu wenig Milch da ist. Wird hingegen Flaschenmilch zugefüttert setzt sich eine unheilvolle Spirale in Gang: Das Baby hat weniger Hunger, es trinkt weniger an der Brust der Mutter und die Milchmenge geht zurück.
Wachstumsschübe: das neue Gleichgewicht
Es gibt Zeiten, da scheint Mamas Milch plötzlich nicht mehr in genügender Menge zu fliessen. Das Kind will ununterbrochen an der Brust trinken, es ist unzufrieden und quengelig. Es sind diese Momente, in denen viele Frauen daran zweifeln, ob sie genügend Milch produzieren. Doch bevor Papa in grosser Sorge in die Apotheke stürzt, um Milchpulver zu kaufen, lohnt es sich, sich an das Prinzip von Angebot und Nachfrage zu erinnern: Je mehr und je länger ein Baby an der Brust trinkt, desto mehr Milch bildet die Brust. Hat das Kind nun einen Wachstumsschub, dann ist das Gleichgewicht kurzfristig durcheinander gekommen. Doch das Baby tut instinktiv genau das Richtige: Es fordert nachdrücklich und immer wieder, gestillt zu werden. Es saugt intensiv und häufig an der Brust und regt damit die Milchproduktion an. Nach wenigen Tagen, meist genügen zwei, produziert Mama wieder so viel Milch, wie das grössere Baby jetzt braucht.
Milchmangel
Der beruhigende Hinweis gleich zu Beginn: Fast immer ist es Fehlalarm, wenn eine Frau befürchtet, zu wenig Milch zu haben. Viel häufiger ist ein Wachstumsschub oder eine allgemeine Unruhe am Abend die Ursache, dass sich die Eltern Sorgen machen, ihr Kind bekomme zu wenig Milch. Bevor also Massnahmen ergriffen werden, müssen Eltern und medizinische Betreuungspersonen zunächst hieb- und stichfest klären, ob das Baby wirklich schlecht gedeiht. Dazu dienen in erster Linie die Gewichts- und Wachstumskurven und der allgemeine Eindruck des Babys. Wenn dieses gesund und munter ist, eine gute Hautfarbe hat, fünf bis sechs nasse Windeln täglich aufweist und sich bezüglich Grösse, Gewicht und Kopfumfang um die immer gleiche Perzentile bewegt, dann ist es meist ein Fehlalarm. Die Frau bildet dann höchstwahrscheinlich genügend Milch; Weinen oder häufiges Stillen haben andere Ursachen als Milchknappheit.
Gedeiht das Kind wirklich schlecht, weil es sich zu wenig Milch holt, so braucht es Hilfe, um die Milchmenge zu steigern und zu genügend Nahrung zu kommen. Das bedeutet: Die Mutter wartet nicht mehr darauf, dass ihr kleiner Liebling von sich aus signalisiert, dass er hungrig ist. Stattdessen legt sie ihn auf eigene Initiative regelmässig an. Alle zwei Stunden bekommt das Baby die Brust – gemessen vom Beginn der letzten Mahlzeit bis zum Beginn der nächsten Mahlzeit. Das gilt auch dann, wenn es schläft, denn wichtiger als der Schlaf ist jetzt eine regelmässige Nahrungsaufnahme. Der Schnuller ist ab jetzt tabu, denn er befriedigt das Saugbedürfnis ohne zu sättigen. Dauerstillen ist erlaubt, Wechselstillen eine Technik, die Milchmenge weiter zu steigern. Dabei legt die Mutter ihr Baby an die Brust und wechselt immer dann die Seite, wenn es nicht mehr wirkungsvoll saugt und nicht mehr nach jeder oder jeder zweiten Saugbewegung schluckt. Dieser Vorgang wird während 20 bis 30 Minuten weitergeführt, und das alle zwei Stunden, in der Nacht alle vier Stunden. Wichtig ist auch, zusammen mit einer Stillberaterin Stillposition und Saugtechnik des Babys zu überprüfen. Saugt das Baby effektiv, dann lässt sich mit diesen Massnahmen die Milchmenge fast immer steigern.
Milchüberschuss
Nun gibt es auch Frauen, welche darunter leiden, zu viel Milch zu haben. Dabei gibt es zwei Dinge abzuklären:
- Ist tatsächlich zu viel Milch da oder interpretiert die Frau gewisse Symptome falsch? So ist auslaufende Milch kein Zeichen für zu viel Milch. Vor allem, wenn das Baby an der einen Brust trinkt, fliesst manchmal eine respektable Menge Milch aus der anderen Brust.
- Ist das Stillmanagement ideal? Es gibt Frauen, die regelmässig Milch abpumpen, weil sie glauben, zu viel Milch zu haben. Doch mit dem Pumpen regen sie die Milchbildung erneut an und die Milchmenge pendelt sich beim Bedarf des Babys plus abgepumpte Milch ein.
Nun kann es natürlich nicht sein, dass eine Frau dauernd mit gespannten Brüsten herumlaufen muss oder dass sie jeden Monat zwei Mal an einem Milchstau erkrankt, weil sie zu viel Milch produziert. In einem solchen Fall muss sie etwas unternehmen (siehe Kasten). Das Ziel ist, etwas Milch aus den Brüsten zu bekommen, ohne gleich die Milchproduktion erneut anzuregen.
Gabi Eugster und Denise Both