Die deutsche Rollstuhlfechterin Esther Weber blickt auf eine erfolgreiche sportliche Karriere zurück. Als Paralympic-Siegerin, Weltmeisterin, mehrfache Medaillen-Gewinnerin verschiedenster Turniere und zweifache Mutter erklärt sie, dass sich Schwangerschaft, Stillen und Sport durchaus unter einen Hut bringen lassen.
Frau Weber, als sie 1994 zu den Weltmeisterschaften in Hongkong aufgebrochen sind, war ihre Tochter Sarah-Kim vier Monate alt. Wie haben Sie den Spagat zwischen ausschliesslichem Stillen und intensivem Training gemeistert?
Als Sarah-Kim geboren wurde, habe ich erst nach vier Wochen wieder mit dem Training begonnen. Diese vier Wochen waren mir sehr wichtig, um unsere Tochter kennen zu lernen, mich ins Stillen hineinzufinden und einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Sarah-Kim war schon von Anfang an ein sehr pflegeleichtes Stillkind. Sie hatte sich beinahe sofort einen exakten Vier-Stunden-Rhythmus angewöhnt und schlief nach dem Stillen auch rasch wieder ein. Dadurch konnte ich mich sehr schnell wieder aufs Training konzentrieren und war dennoch jederzeit für meine Tochter da.
Sie hatten also Ihre Tochter während des Trainings dabei?
Ja, immer. Wir haben einen Extra-Raum, den ich für unsere Stillmahlzeiten nutzen konnte, und in dem sie zwischendurch schlief. Als sie dann grösser wurde und anstatt zu schlafen nach Beschäftigung verlangte, habe ich einfach eine Spieldecke und Spielzeug mitgenommen. So konnte sie in einer Ecke der Halle spielen und ich hatte sie jederzeit im Blick.
Haben Sie sich nach der Geburt mit Rückbildungstraining beschäftigt?
Nein, nicht im Speziellen. Aufgrund meiner Behinderung habe ich regelmässig Physiotherapie – schon lang vor der Schwangerschaft. Regulär sind das zwei bis drei Sitzungen pro Woche und wir haben die Übungen für die Rückbildung einfach in unsere Therapie integriert.
Sind Sie also nach diesen vier Wochen Auszeit wieder voll ins Training eingestiegen?
Im Grunde ja. Das reguläre Training nimmt vier Tage pro Woche mit je vier bis fünf Einheiten in Anspruch. Mein Training ist nicht mit dem eines Langstreckenläufers vergleichbar und das Muskeltraining mit Gewichten macht nur einen sehr kleinen Teil davon aus. Wir verfolgen vor allem das technische Training und die Fitness sehr intensiv. Es war daher gar nicht nötig, mich zu schonen, oder wieder langsam einzusteigen und dann stetig das Pensum zu erhöhen. Zusätzlich gibt es zwischen den einzelnen Trainingseinheiten am Tag immer wieder Pausen, genau wie bei den Wettkämpfen auch. Es war also konditionell kein Problem, wieder voll ins Training einzusteigen.
Sie haben die Weltmeisterschaft in Hongkong als Silber- und Bronze-Medaillen-Gewinnerin für sich und für Ihre Mannschaft erfolgreich bestritten. Ich nehme an, Sie haben Sarah-Kim mitgenommen?
Ja, natürlich. Ich habe ja noch voll gestillt. In Hongkong kam uns auch noch die Zeitverschiebung zugute. Dadurch, dass der Tag dort drüben acht Stunden früher beginnt, war Sarah-Kim noch im „Nachtschlaf“ versunken, während ich bereits die ersten Wettkämpfe bestritt. Die Wettkämpfe sind meist auf die Vormittage festgelegt und es gibt auch hier immer wieder Unterbrechungen. Ich hatte das Glück, dass ich fertig war, als Sarah-Kim zum ersten Mal Hunger bekam.
1998 haben Sie an der Weltmeisterschaft in Euskirchen teilgenommen, die Sie ebenfalls sehr erfolgreich mit Bronze und Gold beendet haben. Vier Monate später kam ihr Sohn Daniel zur Welt. Hatten Sie Bedenken, das Ihr ungeborenes Kind durch Degenstösse eventuell gefährdet sein könnte?
Nachdem ich wusste, dass ich wieder schwanger war, habe ich mir ärztlichen Rat geholt. Ich war im fünften Monat, als wir zur WM aufbrachen, und natürlich besteht auch dann ein gewisses Risiko. Die Ärzte haben mich darauf hingewiesen. Allerdings war das Baby durch die Kleidung, durch mich und durch seine geringe Grösse noch sehr gut geschützt. Ich habe mich also dafür entschieden teilzunehmen.
Haben Sie Ihre Schwangerschaft vor den damaligen Wettkämpfen bekannt gegeben?
Nein. Ich wollte mir meine Medaille erkämpfen und sie nicht aus sportlicher Rücksichtnahme quasi geschenkt bekommen. Auch wenn es darum geht, sportlich und fair zu kämpfen, hatte ich Bedenken, ob meine Gegnerinnen nicht instinktiv vorsichtiger sein würden. Es wäre nicht das gleiche gewesen und ich wollte mir meinen letzten Sieg verdienen.
Ihr letzter Sieg? Sie hatten also vor, aufzuhören?
Ja, ich hatte vor, meine sportliche Karriere nach dieser WM zu beenden. Nicht zwangsläufig durch die neue Schwangerschaft, aber ich freute mich umso mehr auf die Geburt von Daniel und auf die Zeit, die wir danach gemeinsam verbringen konnten. Alles in allem war ich nach Daniels Geburt etwa acht Monate zu Hause. Danach habe ich mich doch zu sehr nach dem Sport gesehnt und wieder begonnen.
Daniel kam fünf Wochen zu früh zur Welt und musste noch eine Weile im Spital bleiben. Auch der Stillstart gestaltete sich schwierig. Wie haben Sie diese Schwierigkeiten überwunden?
Mit viel Geduld und Liebe. Daniel war zu schwach um zu saugen, konnte also nicht bei mir trinken. So habe ich die Milch abgepumpt und er wurde über eine Magensonde ernährt. Leider kam dann noch eine Brustentzündung dazu, was das Abpumpen zu einer sehr schmerzhaften Angelegenheit machte, aber mit viel Durchhaltevermögen haben wir auch das geschafft.
Wie lange haben Sie Ihre beiden Kinder gestillt?
Ich habe beide etwa acht Monate lang gestillt und ich möchte diese Zeit nicht missen. Es war eine wunderschöne Erfahrung voller Zärtlichkeit und Harmonie. Das Stillen war für mich beide Male etwas sehr Einzigartiges, mit tollen Momenten und einer Zeit der vollkommenen Zweisamkeit. Ich bin froh, dass es bei Sarah-Kim von Anfang an so wunderbar funktioniert hat. Und ich bin sehr froh darüber, dass Daniel und ich unsere Stillbeziehung nach den anfänglichen Problemen doch noch geniessen konnten.
Stillen bedeutet für den Körper der Mutter einen erheblichen Mehrbedarf an Energie. Gab es Situationen, in denen Sie das gespürt haben?
Ich habe da nie „schwache“ Momente erlebt. Ich hatte viel mehr das Gefühl noch mehr Energie zu haben, noch stärker zu sein. Ich habe mich sehr gut gefühlt, das Stillen sehr genossen und ich bin mit sehr viel Freude und Elan an das Training und die Wettkämpfe herangegangen.
War es für Sie von vornherein klar, dass Sie Familie und Sport unter einen Hut bringen würden?
Ja. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, dass ich vielleicht mit dem Fechten aufhören müsste, nur weil ich Mutter wäre. Für mich war immer klar, dass sich das kombinieren lässt. Wie, das wusste ich erst, als es wirklich soweit war. Wie schon gesagt, die erste Schwangerschaft, die Geburt und auch das Stillen verliefen wie im Bilderbuch und ich bin sehr froh darüber. Bei Daniel wiederum hat mir die Auszeit sehr gut getan, da ich mich ausschliesslich meinen beiden Kindern widmen konnte.
Was ist Ihr ganz persönlicher Rat für junge Mütter, die sich im Zwiespalt befinden, einerseits ihre sportlichen Aktivitäten nicht aufzugeben, andererseits die eigenen Bedürfnisse voll und ganz hinter denen des Babys zurückzustellen?
Ein Patent dafür habe ich nicht. Ich denke, es kommt viel auf die eigene Haltung an: Wie gehe ich mit der neuen Situation um, wie sehr möchte ich weiter Sport treiben und auch, wie finden mein Kind und ich unseren Rhythmus. Alles ist möglich und mit ein wenig Geduld und Organisation findet sich immer die passende Lösung, nicht nur im familiären Bereich. Und ich habe es mir zur Regel gemacht, nicht darüber nachzudenken, was ich nicht kann, sondern das zu tun, was ich kann.
*Esther Weber-Kranz ist Profisportlerin in Rollstuhlfechten (Degen und Florett)
Mit Esther Weber* sprach Marianne Meyer