Die ersten Wochen nach der Geburt gelten als Zeit der Rückbildung von Schwangerschaftsveränderungen. In vielen Traditionen sind sie hingegen ein ganz besonders geschützter Lebensabschnitt.
„Sechswöchnerin“ nannte man im Mittelalter eine Frau in der ersten Zeit nach der Niederkunft. Frauen im „Wochenbett“ galten als ganz besonders empfindsam und durch das noch nicht sicher in der Welt angekommene Baby mit der jenseitigen, magischen Welt verbunden. Heute hat der Zeitraum nach der Geburt seinen Zauber eingebüsst. Medizinische Aspekte stehen im Vordergrund: Der Uterus bildet sich zurück, der Wochenfluss versiegt und die Milchbildung kommt in Gang. Doch das Wochenbett hat noch eine andere Dimension: Als Zeit des Rückzugs, des Kennenlernens und des In-der-Welt- Ankommens.
Stillen und Stille
Noch bis weit in das 20. Jahrhundert durften Frauen in vielen ländlichen Gegenden erst nach der rituellen „Aussegnung“ wieder eine Kirche betreten. Genauso wie in der christlichen Tradition ist die erste Zeit nach der Geburt für viele Völker mit Ritualen und Tabus verknüpft. Das Hauptziel: Die erste Kontaktaufnahme in einem geschützten Rahmen ablaufen zu lassen. Im Ayurveda dauert diese Zeit sogar 22 Wochen. Mutter und Kind werden vor äusseren Reizen abgeschirmt, umsorgt und durch Massagen und besondere Ernährung begleitet. Viel Körperkontakt und Rituale, die der Mutter den Übergang in die neue Rolle erleichtern, kennzeichnen das Wochenbett in vielen traditionellen Gesellschaften.
Heute ist die Zeit nach der Geburt für viele Frauen eine sehr hektische. Besuche, Rückbildungsgymnastik, Babygruppen: Genauso wie der Körper möglichst schnell wieder in Form gebracht werden soll, soll die Mutter bald wieder funktionieren. Kein Wunder, dass die erste Zeit so oft ein Wechselbad der Gefühle ist: Allein mit dem Baby schleichen sich nicht selten Gefühle von Überforderung, fehlender Anerkennung und wankendem Selbstverständnis ein. Ein stabiles Netz von Beziehungen, das Eingebundensein in die Familie und fürsorgliche, einfühlsame Freunde sind da gefragt.
Die Mutter bemuttern
Mutter-Werden ist eine gewaltige Umstellung, die weit über körperliche Veränderungen hinausgeht. Vielleicht ist es an der Zeit, das medizinische Modell des Wochenbetts zu verlassen und es als das zu nehmen, was es ist: ein Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, der Schutz, Verständnis und Pflege bedarf. „Wochensuppe tragen“ ist in vielen Dialekten noch der Ausdruck für die ersten Besuche nach der Geburt. Weniger Trubel, mehr Verständnis und ein bisschen Suppe wäre vielleicht auch das, was viele Frauen sich nach der Geburt wünschen.
Nicole Ritsch