Nicht immer funktioniert der Stillstart so, wie ursprünglich erträumt. Neben medizinischen Ursachen können auch äussere Umstände eine Stillbeziehung stören. Seinem Baby dennoch einen Teil der benötigten Kalorien durch Muttermilch zu geben, ist eine Leistung, die viel zu wenig gewürdigt wird. Denn Stillen ist weit mehr als Nahrungsaufnahme.
Unter Teilstillen versteht man, dass nur ein Teil der zur Ernährung eines Babies benötigten Milch von der Mutter selber kommt. Die fehlenden Kalorien werden durch das Zufüttern von künstlicher Säuglingsnahrung als sogenannte Zwiemilchernährung oder - seltener - durch Spendermilch ausgeglichen.
Eine unzureichende Milchmenge kann viele Ursachen haben
Den Grund zu finden, warum eine Mutter ihr Baby nicht ausschliesslich stillen kann, ist nicht selten kompliziert, denn eine Stillbeziehung entwickelt sich immer in Abhängigkeit von vielen Faktoren, die die Mutter und das gestillte Kind betreffen. Manchmal ist das Teilstillen nur eine Zwischenstation, oft aufgrund einer zu frühen Geburt und einer damit zusammenhängenden Saugschwäche oder wegen einer notwendigen Trennung von Mutter und Kind. Auch Einschränkungen beim Kind wie Fehlbildungen im Mundbereich (z.B. ein zu kurzes Zungenbändchen), Muskelschwäche (Hypotonie) oder neurologische Auffälligkeiten können ein effizientes Stillen vorübergehend verhindern. Und manchmal kann die Geburt auch Verspannungen nach sich ziehen, welche mit Schmerzen einhergehen, die das effiziente Stillen behindern.
Ausser einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei zu schwacher Stimulation durch das Kind kann eine unzureichende Milchbildung auch hormonelle Ursachen haben. So können Fehlfunktionen der Schilddrüse oder ein polyzystisches Ovarialsyndrom (PCO) zu Problemen bei der Milchbildung führen. In Einzelfällen kann auch eine hormonelle Empfängnisverhütung die Milch zurückgehen lassen. Auch bei Frauen, die sich einer Brust-Operation unterziehen mussten, eventuell sogar an beiden Brüsten, ist die Wahrscheinlichkeit für eine nicht ausreichende Milchmenge erhöht.
Viele Faktoren beeinflussen die Stillbeziehung
Abgesehen von den körperlichen Faktoren sind es eine Vielzahl kleiner Ereignisse hier und da, die, im Gesamten gesehen, negativ oder positiv auf eine Stillbeziehung einwirken. Unvollständiges Wissen um das Verhalten und die Bedürfnisse eines Neugeborenen gekoppelt mit schlechter Beratung zu einem kritischen Zeitpunkt führen oft rasch zum Zufüttern und damit zum Teilstillen. Dass ein Säugling die ersten Tage nur mit der winzigen Menge Kolostrum versorgt werden kann, erscheint einer neuen Mutter vielleicht unvorstellbar. Auch das sogenannte Clusterfeeding, gehäufte Stillmahlzeiten, die besonders abends oder auch in den Wachstumsphasen auftreten und die die Mutter stundenlang mit dem Stillen beschäftigen, werden oft fälschlicherweise als Zeichen für mangelnde Milchbildung gesehen. An diesem sensiblen Punkt kommt das Umfeld ins Spiel. Erhält die Mutter die nötige Entlastung und korrekte Informationen, kann sich das Stillen etablieren. Erntet sie ungläubige Blicke, wenn sie ihr Kind «schon wieder» anlegt oder der Haushalt brachliegt oder rät man ihr zum Zufüttern, setzt eine Negativspirale ein, die nicht selten im Abstillen endet. Eine grosse Rolle für die Stillbeziehung spielen auch Faktoren wie das Auftreten wunder Brustwarzen oder gar Soorinfektionen, gepaart mit der irrig ausgesprochenen Empfehlung, nicht zu häufig zu stillen, statt dessen zu pumpen oder Hütchen zu benutzen. All dies kann das feine Wechselspiel von Angebot und Nachfrage massiv stören. Auch der Wiedereinstieg in die Arbeitswelt kann Anlass sein, mit Zufüttern von Kunstmilch zu beginnen: Die eintretende Doppelbelastung kann die Produktion vorübergehend schwächen, die Hektik der Arbeitswelt lässt es manchmal nicht zu, soviel oder so oft zu pumpen, wie nötig wäre, um den Vorrat zu Hause stabil zu halten. Und schliesslich kann das teilweise Stillen für manche Mütter auch ein erfreuliches Plus sein: Wenn die Milchbildung im Rahmen der Relaktation nach einem überstürzten Abstillen wieder in Gang gebracht wird, füttert die Mutter vorübergehend oder dauerhaft einen Teil der Nahrung an der Brust.
Hoffnung und Rückschläge
Um eine Durststrecke in der Hoffnung auf das Vollstillen zu umschiffen oder zu überstehen, braucht die Mutter gute Information, kompetente Beratung und eine gehörige Portion Entschlossenheit, (weiterhin) zu stillen. Mit Ausdauer, Entlastung, Verständnis und Unterstützung durch das Umfeld, am besten auch durch eine Stillberaterin, erreichen viele Frauen nach einem holprigen Start die Ziellinie Vollstillen. Umso härter trifft es genau diese Mutter, wenn sich der gewünschte Erfolg trotz intensiven Bemühungen nicht einstellen mag. Sie stillt, pumpt, füttert, sterilisiert das Pump- und Fütterzubehör. Sie trägt ihr Kind bei sich, schläft mit ihm, lässt sich voll auf das Abenteuer ein und hat dennoch nur einen Teilerfolg zu verbuchen. An diesem Punkt hadern die Frauen mit sich und sind dabei dem Abstillen häufig näher als dem Stillen, um nur endlich einmal ihr Kind geniessen zu können. Wenn die Belastung durch viele anstrengende Versuche, die Milchmenge auf Vollstillniveau zu steigern, zu gross geworden ist, wenn der Partner oder das Umfeld nicht ausreichend Unterstützung und Halt bieten, wenn der Mutter schlichtweg die Zeit oder Energie fehlt, um sich völlig dem Stillen des Babys oder der Babys zu verschreiben, z.B. dann, wenn grössere Geschwister zu versorgen sind, wenn die Schmerzen bei offenen Brustwarzen so unerträglich sind, dass sie unter Tränen ein Fläschchen zubereitet, kann Zwiemilchernährung ein willkommener Rettungsanker für die Stillbeziehung sein.
Rat-Schläge
Doch wer gratuliert jener Mutter? Die wie unsere Leserin auf S. 11 den ganzen Tag über Tropfen für Tropfen ihrer Milch sammelt, um ihrer kleinen Tochter abends an ihrem Herzen angekuschelt die Flasche zum Einschlafen zu geben? Zuspruch erhalten Frauen, die teilstillen, wenig. Eher die Anregung, es doch jetzt gut sein zu lassen. Schliesslich sind wir selbst ja auch mit Pulvermilch gross geworden. Oder – und das ist meist noch schlimmer – sie ernten einen Haufen unaufgeforderte Rat-schläge, was sie noch alles probieren können, um dem Zufüttern ein Ende zu bereiten. Medien sprechen von Stillzwang und versuchen, Mütter vor der Ausbeutung durch Still-Fanatiker zu schützen, und immer mehr Frauen, Freundinnen, Arbeitskolleginnen und Schwestern von Freunden haben – darüber freuen wir uns – erfolgreich voll gestillt und möchten ihre Erlebnisse teilen. Jenes verloren geglaubte Stillwissen ist heute wieder «in» und jede Frau, die die vielen möglichen Fallstricke im Stillalltag überwunden hat, brennt darauf, ihre Erkenntnisse zu teilen. Doch allzu oft fühlt sich das an wie Kritik. Es kitzelt das Teufelchen wach, das sagt: Du hast es doch nicht lang und hart genug versucht. Dabei ist belegt, dass eine zeitgerechte und stillfördernde Zufütterung ein vorzeitiges Abstillen verhindern kann und auch der bekannte Spruch «jeder Tropfen zählt» ist wissenschaftlich untermauert.
Ein besonderes Band – unabhängig von der Menge
Doch Stillen ist weit mehr ist als reine Ernährung: Ein besonderes Band zwischen Mutter und Kind, ganz unabhängig von der Menge der gebildeten Milch. Dies kommt auch dann zum Tragen, wenn das Baby adoptiert ist und das Teilstillen somit einen aussergewöhnlichen Beitrag zum Erarbeiten einer Bindung leisten kann.
Jede Mutter liebt ihr Kind. Jede Mutter hat ihre einzigartige Beziehung zu ihm aufgebaut. Und jede Mutter verdient Anerkennung für das Engagement, das sie eingeht, um das besondere Band zu ihrem Kind zu pflegen. Wenn wir eine Mutter darin unterstützen, ihre Grenzen zu erkunden und so zu stecken, um mit ihrem Kind in ihrem Lebensumfeld entspannt leben zu können, dann ist wirklich voll gewonnen!