Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/httpd/vhosts/lalecheleague.ch/elternzeitschrift.org/libraries/cms/application/cms.php on line 464 2015/01 Die weibliche Brust
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Kaum ein Körperteil steht so im Rampenlicht wie die weibliche Brust. Sie ist Gegenstand von Begehrlichkeiten, Werbeträgerin, Stein des Anstosses. Doch sie nur als Geschlechtsmerkmal zu sehen, greift zu kurz: Unter der begehrten Fassade steckt ein Wunderwerk der Evolution.

Die weibliche Brust

Bild: Gabriela Lahner

Wonder-Bra, Push-Up, Silikon-Implantate – das Präsentieren der Brust hat sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer Kunstform entwickelt, auf die sich ganze Industrien gründen. Durch den Anblick einer nackten Brustwarze lässt sich publicity-wirksam ein «Nipplegate» inszenieren, und für die nachhaltige Beliebtheit Marylin Monroes und Madonnas zeichnen sich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil deren kunstvoll in Szene gesetzten Brüste respektive deren eindrückliche Verpackung verantwortlich.

Die Aufregung scheint zunächst verständlich, ist die weibliche Brust doch ein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Als solches ist sie zwar nicht direkt in die Fortpflanzung involviert, kennzeichnet ihre Trägerin aber für alle Betrachtenden eindeutig als weibliches Wesen. Das hat sie allerdings mit vielen anderen Merkmalen gemeinsam. So wunderte sich stellvertretend für viele Frauen die amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano unlängst darüber, dass ein Stillbild ihrer acht Wochen alten Tochter auf Twitter grössere Empörung hervorrief als eine zeitgleich gepostete Nacktaufnahme von Kim Kardashians üppigem Hinterteil. Was macht die Brust so besonders?

Männer mögen Brüste
Andere Säugetiere haben zwar ebenfalls Milchdrüsen, nicht aber die typisch menschlichen Halbkugeln aus Fett- und Bindegewebe, die auch ausserhalb der Reproduktion von weitem erkennbar sind. Lange erklärte die Anthropologie die Entwicklung dieses speziell menschlichen Merkmals mit primär sexuellen Motiven: Weil Frauen mit Brüsten attraktiver auf potentielle Partner wirkten, seien diese immer auffälliger, sprich grösser geworden. Der britische Zoologe Desmond Morris etwa vertritt in seinem populären, wenngleich mehr auf eigenen Thesen als auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Buch «Der nackte Affe» die These, dass die Brüste das durch den aufrechten Gang «verlorene» Hinterteil als Sexualmerkmal ersetzten, um Männchen anzulocken.

Was zunächst einleuchtend klingt, wirft bei genauerer Betrachtung Fragen auf: Frauen mit grossen Brüsten produzieren nicht automatisch mehr Milch. Sie sind nicht zwangsläufig gesünder, fruchtbarer oder in der Aufzucht ihres Nachwuchses erfolgreicher als A-Cup-Trägerinnen. Und auch Männer bevorzugen – Studien dazu gibt es erstaunlich viele – unabhängig von Kultur und Alter unterschiedliche Brustformen und -umfänge. Ausserdem ist die Brust in Schwangerschaft und Stillzeit am grössten, ausgerechnet dann, wenn der reproduktionstechnische Zug schon abgefahren ist. Die Grösse allein scheint also kein spezielles Attraktivitätsmerkmal zu sein. Eifrige Theoretiker mutmassten deshalb schon im 19. Jahrhundert, dass der eigentliche Sinn der Brüste sei, die Schläge betrunkener Ehemänner abzufedern oder, alternativ, die weibliche Vorderseite warm zu halten.

Milch erobert die Welt
Erst als Frauen in Anthropologie und Evolutionsbiologie zunehmend an Bedeutung gewannen, rückte die ureigene Funktion der Brüste wieder in den Mittelpunkt des Interesses: das Nähren der Nachkommen. Tatsächlich ist die Laktation eine evolutionäre Erfolgsgeschichte. Ursprünglich entstand Muttermilch bei Reptilien, die ihre Eier durch ein antibakterielles Sekret aus modifizierten Schweissdrüsen schützten und ihre Nachkommen so erfolgreicher durchbringen konnten als ihre Konkurrenten.

In der Folge machte die Entwicklung der Muttermilch, die immer besser auf die Bedürfnisse des jeweiligen Nachwuchses angepasst wurde, die nun entstehende Gattung der Säugetiere zum evolutionären Erfolgsmodell: Dank ihrer eingebauten nährstoff- und vitaminreichen Säuglingsnahrung waren die Säuger plötzlich unabhängig von leicht zugänglichen und verdaulichen Nahrungsquellen für ihre Jungtiere und konnten so auch in unwirtlicheren Gegenden Fuss fassen. (Letztlich triumphierten sie auch deswegen über die deutlich unflexibleren Dinosaurier!) Über diese Vorteile hinaus schuf Muttermilch evolutionsbiologisch auch für Menschenkinder ideale Bedingungen: Der ganz spezielle, hochkomplexe Muttermilch-Cocktail lässt zu, dass sie besonders unreif geboren werden. Diese unreife Geburt ist paradoxerweise eine der Erfolgsstrategien des Menschen, denn sie macht unsere hohe Lern- und Anpassungsfähigkeit erst möglich.

Die weibliche Brust

Bild: Kerri Frischknecht


Mutter und Kind: das perfekte Team
Doch die Produktion von Muttermilch erfordert nur Brustdrüsen, keine Brüste. Säugetiere zeigen erstere, was Anzahl und Lokalisation am Körper angeht, in erstaunlichen Variationen. Allerdings haben selbst die Primaten – die uns am nächsten verwandte Art im Tierreich – nur während der Stillzeit andeutungsweise sichtbare «Brüste». Wozu also die spezielle Form der menschliche Brust? Die Anthropologin Gillian Bentley vermutet, dass das flache Gesicht unserer Neugeborenen dafür verantwortlich sein könnte. Babys haben keine Schnauze wie andere Säugetiere; die würde bei der Geburt stören, da das Becken durch den aufrechten Gang schmaler geworden ist. Um dem «schnauzenlosen» Baby das Trinken zu erleichtern, so Bentleys Theorie, kommt ersatzweise die Brust dem Mund entgegen.

Eine andere Theorie besagt, dass Brüste sich parallel zu unserem unvorteilhaft beweglichen Hals entwickelt haben, der einem tiefsitzenden Kehlkopf Platz bieten muss. Eine faszinierende Vorstellung: Frauen haben Brüste, weil der Mensch sprechen kann. Und die notgedrungen lange Stillzeit des unreif geborenen Menschenkindes hat auch kulturelle Vorteile: Durch die enge Bindung an die Mutter fördert sie die Kommunikation und die Weitergabe von Kultur, Bräuchen und Ritualen über die Generationen.

Brüste im Fokus
Brüste begegnen uns überall: in Werbeanzeigen, im Fernsehen, im Internet. Viele der Darstellungen sind betont lasziv: Sex sells. Auf der anderen Seite ist das Zeigen nackter Brüste vielfach noch mit Sanktionen behaftet. Facebook hat seinen absoluten Bann von Stillbildern zwar gelockert, zeigt aber, der #freethenipple-Bewegung zum Trotz, immer noch lieber nackte Hinterteile als stillende Frauen – Alyssa Milano ist nicht die einzige, die sich wundert. Auch der boomende Markt für Stillcover und Shirts zum diskreten Stillen zeigt, dass sich auch ausserhalb des puritanisch geprägten Amerika viele Frauen unwohl fühlen, wenn sie in der Öffentlichkeit stillen.

Der Grund dafür liegt wohl darin, dass Brüste Frauen in den Medien vor allem als Sexobjekt kennzeichnen. Wir haben gelernt, Brüste mit Sex zu assoziieren – nicht mit einem alltäglichen, unspektakulären Vorgang wie der Ernährung eines Säuglings.

Meine Brust gehört mir! 
Der antrainierte Automatismus «Brust = Sex» verunsichert viele Frauen, insbesondere auch, weil das in den Medien präsentierte Brust- und Körperideal meist unerreichbar ist. Der eigene Busen ist zwangsläufig zu klein, zu gross oder nicht fest genug, um dem präsentierten Idealbild der gesunden, erfolgreichen, attraktiven Frau zu entsprechen. Kein Wunder, dass die Brustvergrösserung zu der am häufigsten durchgeführte OP bei jungen Frauen zählt, eng gefolgt von Brustverkleinerung und –straffung. Sich dieser Mechanismen bewusst zu werden, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sich mit seiner Brust zu beschäftigen, sie anzunehmen und seine Entscheidungen darüber selbstbewusst zu treffen ein weiterer. Und wer weiss, vielleicht wird so der Anblick einer stillenden Frau irgendwann wieder das, was er eigentlich ist: etwas ganz normal Menschliches.

Nicole Ritsch