Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/httpd/vhosts/lalecheleague.ch/elternzeitschrift.org/libraries/cms/application/cms.php on line 464 2015/02 Trotz und Trost - eine Einleitung

Jede Trotzphase ist anders. Und Trost hat ebenso viele Facetten. Es gibt Momente, in denen alles schief läuft. Aber indem wir unsere Kinder durch diese schwierigen Situationen begleiten, ergreifen wir die Chance, miteinander zu lernen.

Die weibliche Brust

Bild: Denise Ruhland

Kinder sind trotzig, Kinder weisen uns zurück, Kinder sind manchmal wütend, oft widersprechen sie uns und unseren Ideen für sie und die Situation. Und sehr oft hinterfragen Kinder Dinge, die wir schon lange als unhinterfragbar definiert hatten. Das kann anstrengend sein. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall, an anstrengenden Tagen, bei besonders wichtigen Themen oder einfach nur in der Öffentlichkeit, ist es nervenaufreibend und kann Eltern schon mal schnell an den Rand ihrer Ruhe bringen.

Egal welchen Erziehungsstil wir praktizieren, oder welcher Theorie wir uns verschrieben haben, das sind die Momente, in denen wir uns automatisch hinterfragen. Kommt dann noch ein Aussenblick oder ein Beobachter dazu, dann kann es schnell sein, dass wir härter oder kälter als normal reagieren. Ganz einfach weil wir beobachtet werden und man davon ausgeht, dass die Gesellschaft von uns ein bestimmtes Verhalten erwartet. Sei es die Nachbarin, die meint, dass wir unsere Kinder nicht im Griff haben, weil wir nie mit ihnen schimpfen; oder die Kassiererin, die denkt, dass unser Kind uns mit seinem Geschrei völlig im Griff hat.

Wir alle haben Meinungen und Ansichten, wenn es um Erziehung geht. Weil wir alle selbst Erziehung erfahren haben. Doch letzten Endes ist keine Wahrheit so wahr, wie jene, die besagt, dass jedes Kind anders ist und, dass Eltern die echten Spezialisten für ihre Kinder sind.

Von Trost und Selbstsorge
Das gilt besonders für «Trotz und Trost»-Situationen. Trost kann so vieles bedeuten. Eine Berührung, eine Umarmung, ein Lächeln, einfach da zu sein – je nach Kind, je nach Situation, je nach Ursprung der Gefühle. Für manches Kind ist eine Berührung oder gar Umarmung viel zu viel, wenn es mit zu grossen Gefühlen beschäftigt ist. Andere können sich nur über den Körper eines Erwachsenen wieder beruhigen.
All diesen Situationen aber ist das Begleiten gemeinsam. Kinder brauchen Begleitung in Situationen, in denen sie sich selbst in der grossen Welt verlieren und vor körperlichem Stress nicht mehr ein noch aus wissen. Was von aussen schnell wie Trotz oder Generve aussieht, ist nämlich genau das: Überforderung. Überforderungen durch uns Eltern, die ein gewisses Verhalten erwarten, das das Kind so nicht zeigen kann. Überforderung durch Ablenkung. Überforderung durch Müdigkeit. Hunger. Zu viele starke Eindrücke. Zuviel Lärm. Und so weiter.

Kinder in solchen Situationen zu begleiten, setzt ein gewisses In-sich-Ruhen der Eltern voraus. Eine Mutter, die sich über sich selbst oder über das Kind ärgert, kann es nicht begleiten oder ihm durch das Durcheinander an sich widersprechenden Emotionen helfen. Ein Kind in dem Moment zu begleiten, braucht Kraft. Kraft, die durch Selbstsorge, Selbstliebe und gezielten Ausgleich erreicht werden kann.
Was so einfach klingt, ist es im Alltag, in dem Haushalt, Arbeit, Verpflichtungen, Stress und Zeitdruck uns in alle Richtungen zerren, natürlich überhaupt nicht. Wo sollte man denn da noch Zeit für sich finden, um gezielte Selbstsorge zu betreiben?

Es gibt einen Merkspruch in der bedürfnisorientierten Erziehung: Je voller der emotionale Tank deines Kindes ist, umso besser übersteht es den Sturm der Emotionen. Dasselbe gilt aber auch für Eltern. Je mehr wir unseren emotionalen Tank mit Dingen füllen, die uns gut tun, umso besser können wir mit dem Unerwarteten, dem Stress und den vielen Erwartungen umgehen.

Dann bringen wir uns als Eltern an einen sicheren Ort, von wo aus wir anstrengende Situationen und solche, in denen alles schief zu gehen scheint, als echte Momente grossen Wachsens sehen können. Momente, in denen wir etwas über uns selbst und unsere Ängste lernen, und uns selbst überwinden können.

Wir lernen zusammen mit unseren Kindern
Bedürfnisorientierte Erziehung und besonders positive Disziplin sind nichts, das wir von einem Tag auf den anderen meistern können. Oftmals jedoch besteht die Annahme, dass Überzeugung alles möglich macht. Dass es doch genügen müsste, wenn wir überzeugt sind von einem Weg oder einem Argument. Dass wir wissen, dass der Klaps oder das Schreien schlecht sind. Warum bleibt es dennoch so schwer?
Weil wir selbst aus völlig anderen Erziehungssituationen kommen. Weil unsere eigene Kindheit von völlig anderen Mechanismen geprägt wurde und weil Elternsein generell, aber besonders ein solches Umkonditionieren der ersten Reaktionen, ein Lernprozess ist. Lernen braucht Zeit und hundert, tausende einzelne Übungsmomente.

In der Psychologie weiss man heute, dass eine negative Affirmation drei positive braucht, um neutralisiert zu werden. Wenn man sich nun überlegt, wie viele negative Bemerkungen und Anmerkungen wir als Kinder erlebt haben («Das interessiert mich nicht. Mach das!» – «Wieso hörst Du nie?» – «Ich lieb dich nicht mehr, wenn du so garstig bist.»), dann wird schnell klar, wie viel ein solches Umlernen im Umgang, in der Sprache, in den Familienmechanismen und Familienregeln – die auch noch völlig entgegen aller gesellschaftlichen Konventionen laufen – an Energie und Überzeugung kostet.

In solchen Lernprozessen dürfen wir uns, ebenso wie unseren Kindern, viel Liebe, Grosszügigkeit und Nachsicht angedeihen lassen. Denn Überzeugung alleine reicht manchmal nicht aus und schnell rutscht man wieder in die alten, schlechten Angewohnheiten. Man schreit. Man droht. Man will bestrafen. Das sind keine Fehlleistungen. Das sind schmerzliche Momente eines reinigenden Lernprozesses. Und, es ist Realität.
Die gute Nachricht ist, dass Kinder das intuitiv verstehen. Sie verstehen, wenn man sich entschuldigt, inne hält und sagt, dass man so nicht hätte reagieren sollen oder wollen. Sie verstehen es, wenn man offen und ehrlich sagt, dass wir alle zusammen lernen. Dass wir alle auf einem Weg sind. Einem Weg hin zu gegenseitigem Respekt, Verständnis und liebevoller Kommunikation. Und zusammen mit anderen Eltern schaffen wir so eine völlig neue Gesellschaft, in der Umgang nicht von Gewalt, Druck und Konflikten geprägt ist. Zusammen mit unseren Kindern können wir die Welt verändern. Immer nur ein Lernprozess auf einmal. Eine stärkende Umarmung nach der anderen.

Bettina M. Kreissl Lonfat