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„Sprechen ist die Fähigkeit, Laute zu Worten zusammen zu setzen." So die Definition. Doch dabei handelt es sich nur um einen der letzten bemerkenswerten Schritte, welche auf dem Marathon der Sprachentwicklung gemeis-tert werden müssen.

WibelWind 2010/02

Die eigentliche Sprachentwicklung beginnt bereits mit der Fähigkeit, Geräusche im Mutterleib wahrzunehmen. Aufgegliedert in viele Zwischenstufen durchläuft das Baby nach seiner Geburt Etappen, in denen Gestik, Mimik und Berührung ebenso essenziell sind wie Akustik, Schrei- und Lallphasen. Die charakteristischen Zeichen, welche uns unsere Kinder dabei senden, zeigen uns, wo wir stehen und lassen uns darüber staunen, wie klar sie sich ohne Worte bereits mitteilen können.

Nur wer hört und sieht, lernt sprechen
Vielleicht haben Sie schon einmal beobachtet, dass Erwachsene ihr gesamtes Sprachverhalten anpassen, sobald sie mit einem Baby reden. Die Stimme wird höher, Mimik und Gestik sind offensichtlicher, sie reden langsam und die Wortwahl ist stark vereinfacht. Vielleicht haben Sie auch schon hören müssen, dass man sich mit einem Baby nicht zu unterhalten braucht. „Es versteht ja sowieso nichts", heißt es dann.

Tatsächlich ist ein Verständnis im wörtlichen Sinne noch nicht vorhanden. Doch mit einem Baby von Beginn an zu reden, ist ganz entscheidend für einen gesunden Spracherwerb. Denn Sprachentwicklung beginnt mit Sehen und Hören. Die Veränderungen, mit denen Eltern dem Baby gegenüber treten, geschehen rein intuitiv und sind das Resultat eines ausgeklügelten, perfekt an die Entwicklung der Kleinsten angepassten Systems der Natur. Die hohe Stimme beispielsweise ist für Babys leichter wahrnehmbar als tiefe Töne. Die ausgeprägte Mimik ist ein Indiz dafür, welche Funktion Lippen und Zunge beim Artikulieren einnehmen. Und einfaches, langsames Sprechen gibt Zeit zu begreifen. Das Umfeld passt sich unbewusst dem jeweiligen Sprachniveau des Kindes an. Und wie ein roter Faden besteht ständiger Blickkontakt mit dem Baby, selbst dann noch, wenn das „Gespräch" beendet ist.

Die „vorsprachliche Entwicklungsphase"
Mütter berichten schon wenige Wochen nach der Geburt, sie könnten die Bedürfnisse ihrer Babys am Schreien unterscheiden. Tatsächlich begreift das Baby sehr früh, dass es sich bemerkbar machen muss, wenn es seine Bedürfnisse erfüllt haben möchte. Es hat verstanden, dass es Personen in seiner unmittelbaren Umgebung durch Schreien zu einer Reaktion veranlasst. Dies bedingt allerdings, dass Erwachsene zuverlässig darauf eingehen. Geschieht dies, so gewinnt das Baby Vertrauen in diese erste Form der Kommunikation und schenkt als kleine Belohnung schon bald das bewusste, so genannte „soziale Lächeln". Dieses kleine Wunder vollführt es bereits mit zwei bis drei Monaten.

„Sprachtraining" und „Grundwortschatz" – die Lallphasen
Schon bald entdeckt das Kleine die erste Lallphase für sich. Zum bisherigen Schreien gesellen sich Gurren, Lallen und Quietschen. Bestärkt von den freudigen Reaktionen seines Umfelds und vom entstandenen „Verständnis", äussert sich das Baby nun differenzierter und drückt neben Unwohlsein und Hunger auch den Wunsch nach Gesellschaft aus. Diese Phase ist ein Meilenstein der Sprachentwicklung. Ähnlich einem Dominoeffekt löst jeder Laut eine bestimmte Empfindung im Rachen- und Mundbereich aus. Die immer neuen Empfindungen regen wiederum dazu an, immer neue Laute zu artikulieren. Auf diese Weise trainiert das Baby seine Stimmbänder, übt Lippenformen und Zungenstellungen und experimentiert mit den Nasengängen und seiner Atmung.

Die zweite Lallphase wird dagegen durch die sprachlichen Anregungen der Umwelt dominiert. Aus dem riesigen, angelegten Pool an Lauten werden nun nur noch jene vertieft, welche das Baby in seinem Umfeld wiederholt wahrnimmt. Nicht benötigte Laute gehen verloren. Im Fokus steht nun die eigentliche Muttersprache. Verständnis und Lautäusserungen nehmen rasant zu. Es macht ihm Spass, sich mit seinem Umfeld zu „unterhalten". Das Baby reiht nun Silben zu langen „Worten" aneinander. Darüber hinaus zeigt es mit neun bis zwölf Monaten den referentiellen Blickkontakt. Das Baby schafft mit seinen fragenden Blicken eine Verbindung zwischen sich, dem Gegenüber und einem Gegenstand – die Voraussetzung für das Sprachverständnis.

Gesagt – verstanden
Im Alter von zwölf bis 18 Monaten reagiert das Kind angemessen auf Äusserungen wie zum Beispiel: „Hole den Ball". Es produziert aus den langen Reihen monotoner Silben plötzlich ein „Mama". Allein die überschwängliche Reaktion des Umfelds ist dem Kleinkind Antrieb genug, seine Sprachentwicklung energisch voran zu treiben. Die vorsprachliche Entwicklungsphase ist damit abgeschlossen und innerhalb der nächsten Monate lernt das Kind eine Vielzahl neuer Wörter mit verblüffender Geschwindigkeit. Anfänglich noch an spezifische Situationen gebunden, setzt es seinen Wortschatz gezielt im Alltag ein. Damit hat es einen weiteren wichtigen Schritt der Sprachentwicklung gemeistert und kann nun über Gestik und Mimik hinaus ebenfalls mittels Sprache kommunizieren.

Marianne Meyer