Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/httpd/vhosts/lalecheleague.ch/elternzeitschrift.org/libraries/cms/application/cms.php on line 464 2012/01 Soziales Verhalten beginnt früher als angenommen

Die Entwicklung von komplexen sozialen Syste- men beruht auf der Fähigkeit Kontakte zu knüpfen und in Gruppen zu leben. Ohne Altruis- mus, Fairness und Gerechtigkeitsempfinden hätte sich das Zusammenleben in Gruppen nicht entwickeln können.

Das Motto «gemeinsam sind wir stark» ist der Schlüssel für den evolutionären Erfolg der Spezies Homo sapiens. Der Zusammen- schluss zum Leben in Gruppen, der vermutlich mit dem Wechsel von einer eher nachtaktiven zur tagaktiven Lebensweise zusam- menfiel, ermöglichte es unseren Vorfahren, sich besser vor Ge- fahren zu schützen und sich bei Bedarf zu verteidigen (1).

Das Zusammenleben von Individuen verlangt soziale Fähigkei- ten wie Fairness, Gerechtigkeit und Altruismus. Diese Eigen- schaften widersprechen allerdings in nicht geringem Masse dem vom Charles Darwin postulierten Grundsatz, dass sich prinzipi- ell der am besten Angepasste durchsetzt und weiterentwickelt, denn kooperatives Verhalten ist häufig mit Nachteilen für das Individuum verbunden und bringt – zumindest kurzfristig – kei- ne Vorteile mit sich. Dass sich soziales Verhalten langfristig aber durchaus auszahlt, daran lässt die Tatsache keine Zweifel, dass Menschen weltweit in der Regel in Sozialstrukturen eingebunden sind, statt als Einzelgänger zu leben.

Eine Untersuchung von Summerville und Schmidt (2), die durch die Ludwig-Maximilians-Universität in München unterstützt wurde, hat Entwicklungsanthropologen, Biologen und Sozialwis- senschaftler bei der Suche nach der Antwort auf die Frage weiter- gebracht, ab wann sich bei Kindern das Gefühl für Gerechtigkeit und Fairness entwickelt: Bereits 15 Monate alte Kinder zeigen Sinn für Gerechtigkeit und Fairness! Das entspricht einem viel früheren Zeitpunkt als bislang allgemein angenommen.

Die Forscher wählten 47 termingeborene, gesunde 15 Monate alte Kleinkinder aus einem mittelstädtischen Umfeld in den USA als Probanden und untersuchten deren Reaktion auf Filmsequenzen. Beim ersten Test schauten die Buben und Mädchen sich auf dem Schoss von Mutter oder Vater sitzend zunächst einen Film an, in dem zwei Personen die gleiche Menge zu essen oder zu trinken erhielten. Anschliessend wurde ihnen eine Szene vorgespielt, in der eine Person deutlich mehr erhielt als die andere. Bei der Aus- wertung der Videoaufnahmen der Reaktionen der Kinder zeigte sich, dass mehrere der Kinder auf die ungleiche Behandlung im zweiten Film mit deutlicher Überraschung reagierten. Sie hatten also offensichtlich eine Gleichbehandlung erwartet.

Im zweiten Test wurde untersucht, inwieweit die Kinder bereit waren, Spielzeuge zu teilen und abzugeben. Die Kinder erhiel- ten zwei Spielzeuge, von denen zuvor festgestellt wurde, welches der beiden Spielzeuge vom jeweiligen Kind bevorzugt wurde. Nur ein Drittel der Kinder war überhaupt nicht bereit, zu teilen, ein Drittel gab das weniger bevorzugte Spielzeug ab und ein Drittel das bevorzugte. Interessant ist dabei, dass 92 Prozent der Kinder, die das bevorzugte Spielzeug abgaben, auch bei der Filmsequenz mit der ungleichen Verteilung von Speisen oder Getränken be- sonders überrascht reagierten.

Die Beobachtungen zeigen, dass bereits 15 Monate alte Kinder über ein Gefühl für Gerechtigkeit und Fairness verfügen, das je- doch individuell unterschiedlich ausgeprägt ist. In weiteren Un- tersuchungen soll nun herausgefunden werden, ob diese sozia- len Fähigkeiten angeboren oder anerzogen sind.

Denise Both

Quellenangaben
(1) Shultz S et al (2011): Stepwise evolution of stable sociality in pri- mates. Nature 479, 219
(2) Schmidt MFH, Sommerville JA (2011): Fairness Expectations and Altruistic Sharing in 15-Month-Old Human Infants. PLoS ONE 6(10)