Übergewicht, insbesondere bei Kindern, ist das Thema des Jahrhunderts. Die WHO spricht von einer globalen Epidemie, Gesundheitsexperten auf der ganzen Welt erwarten als Folgeerscheinung eine massive Zunahme von chronischen Krankheiten.
Stillen ist die erste und eine effektive und lebenslange Präventionsmassnahme gegen das Übergewicht.
Übergewicht ist zur weltweiten Epidemie geworden. Sie betrifft jung und alt, arm und reich. Selbst in Ländern mit Unterernährung ist ein namhafter Prozentsatz der Menschen übergewichtig. Man findet sogar im selben Haushalt gleichzeitig unterernährte und übergewichtige Familienmitglieder.
Wenn Stillen vor Übergewicht schützt, so muss das auch wissenschaftlich nachweisbar sein. Doch das ist gar nicht so einfach. Langfristige Studien sind immer von verschiedensten Faktoren beeinflusst. Stillen und seine schützende Wirkung müssen denn auch in einem grösseren Kontext gesehen werden.
Klar ist, dass Fehlernährung in den ersten beiden Lebensjahren den grössten Schaden anrichten kann, und zwar lebenslang. Stillen, vor allem ausschliessliches Stillen, fällt genau in dieses Zeitfenster der wichtigsten Entwicklung. Muttermilch ist die beste Quelle an Nährstoffen und der beste Schutz gegen chronische Krankheiten – auch gegen Übergewicht.
Die Dosis Muttermilch machts
Wenn Stillen das Übergewichts-risiko senkt, und wenn Muttermilch die Ursache ist, dann sollte auch die Dosis eine Rolle spielen. Sprich: Ausschliessliches Stillen und Still-dauer müssten dann einen grösseren Effekt haben als teil-weises Stillen für eine kurze Zeit. Genau das hat eine Studie der Charité-Universität in Berlin ergeben (siehe Grafik). Je kürzer die Stilldauer, desto höher war der Body-Mass-Index (BMI). Unter den nicht gestillten Kindern waren 37 Prozent übergewichtig, von den länger als drei Monate gestillten waren nur 22 Prozent zu dick.
Auch weitere Studien zeigen den Zusammenhang zwischen Stilldauer und Übergewichtsrisiko. Wird ein Kind ein Jahr oder länger gestillt, nimmt das Risiko sogar um 51 Prozent bis 71 Prozent ab. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig die Empfehlungen der American Academy of Pediatrics sowie der EU und der WHO sind, welche alle eine Stilldauer von mindestens einem oder gar zwei Jahren empfehlen. Dies gilt auch oder ganz besonders in den westlichen Industrienationen.
Drei Wirkungsmechanismen
Noch schwieriger als die Frage, ob Stillen vor Übergewicht schützt, ist es herauszufinden, wieso es schützt. Doch auch hier zeichnen sich drei wahrscheinliche Wirkungsmechanismen ab, die mit grosser Wahrscheinlichkeit zusammenwirken.
1. Selbst-Regulation der Nahrungsaufnahme durch das Baby
Ein gestilltes Kind bestimmt selbst, wie viel es trinken möchte. Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, ein Kind zum Trinken an der Brust zu zwingen. Wer es doch mal versucht, erntet bittere Tränen, und das Baby trinkt immer noch nicht. Ebenso schwierig ist es, ein hungriges Kleines von der Brust fernzuhalten. Mehrere Mütter berichten in dieser Nummer von diesem fast unmöglichen Vorhaben. Nein, wann und wie viel ein Baby im ersten Lebenshalbjahr trinken möchte, das bestimmt es bei liebevollen Eltern ganz selbst. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass Babys im Durchschnitt weniger trinken, wenn ihre Mutter eine fettreichere Milch hat.
2. Inhaltsstoffe der Muttermilch
Muttermilch enthält zahlreiche Stoffe, von denen noch niemand weiss, wofür sie gut sind. Doch nach und nach werden immer mehr Wirkungsweisen einzelner Komponenten festgestellt. Einige wirken auch auf den Energiestoffwechsel und schützen so vor Übergewicht. So fanden amerikanische Forscher erst vor kurzem ein spezielles Protein in der Muttermilch, das Adiponectin, welches den Stoffwechsel langfristig positiv vorprogrammiert und so vor Übergewicht schützt. Dieses Protein wird von Fettzellen abgegeben und bestimmt, wie Zucker und Fette vom Körper verarbeitet werden. In der Muttermilch hat es auch Leptin, welches bei der Regulation von Hunger und Sättigung eine zentrale Rolle spielt.
Flaschenkinder haben zudem einen höheren Insulinspiegel im Blut, was die Bildung von Fettgewebe fördert. Dafür ist der Blut-Cholesterinspiegel bei gestillten Babys höher. An sich ist das nicht sonderlich erwünscht, doch es gibt Vermutungen, dass Babys so von Anfang an „trainiert“ werden, mit Cholesterin im späteren Leben umzugehen.
3. Gewohnheiten der Familie
Nicht selten haben Familien, in denen Mutter und Vater das Stillen voll unterstützen, eine gesündere Lebensweise. Mehr Bewegung und ein ausgewogeneres Nahrungsangebot sind wichtige Faktoren im Kampf gegen Übergewicht.
Stillen schützt auch die Mutter
Stillen ist fast immer eine Win-win-Situation für Mutter und Baby. So auch bei der Gewichtskontrolle. Nicht nur das Kind profitiert, sondern auch die Frau. Während der Schwangerschaft ist es normal, ja erwünscht, dass eine Frau an Gewicht zunimmt. Dabei setzt sie auch einige Fettreserven zum Stillen des Babys an. Die Produktion von Muttermilch braucht viel Energie. 500 bis 800 Kilokalorien braucht eine stillende Frau am Tag zusätzlich. Stillende Mütter verlieren denn auch mehr Gewicht als „Flaschenmütter“. Ein Jahr nach der Geburt hat eine Frau, die stillt, ihr Ausgangsgewicht von vor der Schwangerschaft meist wieder erreicht. Flaschenmütter haben dann oft noch vier Prozent mehr auf den Hüften, und diese vier Prozent zu verlieren ist harte Arbeit und braucht viel Disziplin. Bei einem Gewicht von 60 Kilogramm sind das doch rund zweieinhalb Kilo; und bei zwei oder drei Schwangerschaften summiert sich das zu einer Gewichtszunahme, welche über Normal- oder Übergewicht entscheiden kann. Übergewichtige Mütter aber stillen seltener und weniger lang; ihre Kinder werden also kürzer gestillt und haben ein grösseres Risiko, später selbst übergewichtig zu werden – ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt.
Gabi Eugster