Instinktiv nehmen die meisten Eltern ihr Baby oder Kleinkind auf den Arm, tragen und wiegen es, wenn es unruhig ist. Meist beruhigt sich das Kleine dann sehr schnell – aber warum ist das so?
Körperkontakt beruhigt, das ist nichts Neues und gilt nicht nur für Babys und Kinder, auch Erwachsene geniessen es in der Regel, wenn sie vom Partner oder einer vertrauten Person berührt oder umarmt werden. Viele Eltern tragen deshalb ihre Babys viel und gerne und so manche Mutter sagt frei heraus «wenn ich nicht bald gelernt hätte mein Kind in einer guten Tragehilfe zu tragen, weiss ich nicht, wie wir den Alltag überlebt hätten».
Doch nicht selten werden Mütter oder Väter (oder Grosseltern und andere liebe, dem Kind vertraute Personen) kritisch beäugt, weil das Baby quasi «auf dem Körper der Mutter lebt». Immer wieder wird argumentiert, dass das Kind auf diese Weise verwöhnt werde, die Wirbelsäule des Kindes und der Trägerin Schaden nähmen oder gar, dass es die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtige, wenn es (viel) getragen werde.
Nicht nur die millionenfache Erfahrung von Eltern auch eine nicht unerhebliche Zahl von Untersuchungen hat inzwischen deutlich gezeigt, dass das Tragen weder zu körperlichen Schäden noch zu Problemen in der motorischen oder kognitiven Entwicklung des Kindes führt. Im Gegenteil, es gibt sogar Hinweise darauf, dass sich das Tragen positiv auf die Entwicklung auswirkt.
Und auch die tragende Person muss nur selten damit rechnen, dass sie Schäden durch das zusätzliche Gewicht des Traglings zu erwarten hat, wenn sie darauf achtet, in guter Körperhaltung zu tragen, möglichst nicht immer einseitig auf der gleichen Seite zu tragen und insbesondere bei grösseren und schwereren Kindern eine gute Tragehilfe verwendet.
Schwieriger wird die Argumentation oft, sobald das böse Wort «verwöhnen» ins Spiel kommt. Erwachsenen wird oft der Rat gegeben «lass dich mal verwöhnen» und damit ist gemeint, dass der- oder demjenigen etwas Gutes getan werden solle. Seltsamerweise wird in Zusammenhang mit Kindern verwöhnen jedoch gleichgesetzt mit «verziehen». Das Kind soll also nicht in den Genuss kommen etwas Gutes zu erfahren, weil es dadurch «verzogen» wird? Auch hier zeigt die langfristige Erfahrung von Eltern jedoch in aller Regel, dass das Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes – und dazu gehört offensichtlich auch das Tragen – keineswegs unkontrollierbare und sozial inkompetente Menschen hervorbringt. Der Trick besteht allerdings darin, den oftmals feinen Grat zwischen echtem Bedürfnis und (kurzfristigem) Wollen zu erkennen.
Japanische Wissenschaftler* haben nun eine Studie mit Menschenbabys und mit Mäusen durchgeführt und festgestellt, dass sich sowohl sechs Monate alte Menschenbabys als auch Mäusebaby durch tragen beruhigen lassen. Die Beobachtungen zeigten verblüffende Gemeinsamkeiten: Gleich ob weinendes Menschbaby oder weinendes Mausebaby, sobald sie hochgenommen und getragen wurden, hörten Weinen und Strampeln auf und der Herzschlag beruhigte sich. Trageruhe im wahrsten Sinne des Wortes.
In einem weiteren Schritt wurden bei den Mäusebabys bestimmte Rezeptoren so blockiert, dass sie nicht mehr wahrnehmen konnten, dass sie aufgenommen und getragen wurden. Dies führte dazu, dass sich die kleinen Mäuse auch nicht mehr beruhigten. Dadurch verbrauchten sie nicht nur mehr Energie, sondern machten es der Mäusemutter auch schwerer sie zu tragen. Die zappelnden kleinen Mäuse konnten als nur unter erschwerten Bedingungen aus einer eventuell gefährlichen Situation entfernt werden, was letztlich dazu führt, dass ihre Überlebenschancen verringert werden. Und damit sind wir bei einem sehr wichtigen Punkt, der aus evolutionsgeschichtlicher Sicht auch Bedeutung für unsere Spezies hat: Ein schreiender Säugling hat nicht nur die Mutter auf sich aufmerksam gemacht, sondern auch (natürliche) Feinde. Ein ruhiges, an die Mutter geschmiegtes Kind hingegen liess sich einigermassen einfach und unauffällig wegtragen.
Zwar ist unter unseren heutigen Lebensbedingungen nicht mehr davon auszugehen, dass wir möglichst leise vor einem Höhlenbär flüchten oder uns verstecken müssen, aber dieses Wissen ist bislang noch nicht im genetischen Programm unserer Babys und Kleinkinder verankert und deshalb ist alleine im Bett zu liegen nach wie vor im wahrsten Sinne des Wortes alarmierend für sie.
Denise Both
*Gianluca Esposito, et al.: Infant calming respon- ses during maternal carrying in humans and mice. Current Biology 23, 739–745, May 6, 2013 http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2013.03.041