Warning: count(): Parameter must be an array or an object that implements Countable in /home/httpd/vhosts/lalecheleague.ch/elternzeitschrift.org/libraries/cms/application/cms.php on line 464 2015/06 Hypnobirthing – Geburt zum Wohlfühlen

Schmerzen in positive Gefühle umwandeln ist das Grundprinzip des Hypnobirthing. Mit herkömmlicher Hypnose hat es wenig gemein, viel mehr mit dem natürlichen „Trance-Zustand“ während der Geburt.

„Ich freue mich drauf. Aber Angst vor den Schmerzen haben ich schon.“ Diese oder sinngemässe Gedanken beschäftigen Frauen, wenn sie der Geburt ihres Kindes entgegen sehen. Doch der Geburtsschmerz und der Umgang damit sind so unterschiedlich wie jede Geburt selbst. Die Medizin kann hier Abhilfe schaffen, doch auch die schmerzlindernde Wirkung komplementärer medizinischer Verfahren wie Akupunktur oder Hypnose ist längst nachgewiesen.

Wellen statt Wehen
„Wehen“ gibt es nicht. Zumindest nicht im Hypnobirthing. Wehen stehen sinnbildlich für Schmerzen. Schon allein das Wort hat einen negativen Beigeschmack. Daher spricht das Hypnobirthing nicht von Wehen sondern Wellen. Die Idee dahinter: Schmerzen aktiv verhindern, lindern und positiv bewerten.
Im frühen 20. Jahrhundert notierte der englische Geburtshelfer Dr. Grantly Dick-Read interessante Beobachtungen. Ihm fiel auf, dass Mütter ihre Kinder teils so ruhig und ohne grosses Aufsehen zur Welt brachten, als empfänden sie kaum Geburtsschmerz. Andere wiederum schienen Stunde um Stunde unter endlosen Schmerzen zu leiden, bis das Baby endlich geboren wurde. Basierend auf diesen Erfahrungen stellte er die These auf, dass die Angst vor den erwarteten Schmerzen die körperliche Entspannung verunmöglicht. Es entsteht das Angst-Spannung-Schmerz-Syndrom und damit ein Teufelskreis, welcher den natürlichen Geburtsvorgang beeinträchtigt und sogar zu Komplikationen führen kann. Heute gilt Dr. Grantly Dick-Read als Vater der natürlichen Geburt. Und sein Buch „Mutter werden ohne Schmerz“ gilt als eine der Grundlagen des Hypnobirthing.

Sich darauf einlassen
Hypnobirthing heisst nicht, dass Frauen in Hypnose versetzt werden. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Vielmehr wird jener Trancezustand verstärkt und trainiert, welchen Gebärende bei völliger Entspannung ohnehin erfahren. Der Gedanke dahinter ist, Negatives a priori positiv zu bewerten. So wird, wie bereits erwähnt, die Wehe als Welle gesehen, welche das Kind Stück für Stück trägt anstatt es schmerzhaft in den Geburtskanal zu drücken. Schmerzen werden als „Gefühle“ wahrgenommen und schaffen dadurch Freiraum für Positives. Und gedanklich befindet sich die Gebärende an einem Wohlfühlort, um sich von den Erinnerungen an Erlebtes einnehmen zu lassen. Allein durch das „Sich-darauf-Einlassen“ sollen sich körperliche und emotionale Anspannung lösen, wie sie jeder von ganz alltäglichen Situationen her kennt. Der Partner oder die Partnerin spielen dabei eine ebenso zentrale Rolle. Ihre Aufgabe ist es, die Entspannung zu vertiefen, sie an ihren Wohlfühlort zu begleiten und durch Berührungen einen „Anker zu setzen“.

Schmerzprävention
Um Schmerzen zu lindern oder ganz zu nehmen, müssen wir verstehen, wie der Schmerzmechanismus funktioniert. Dass eine Verletzung über die Nerven „vor Ort“ ans Gehirn weitergeleitet wird, welches diese dann in die Schmerz-Empfindung umwandelt, kennt jeder. Dazu reicht ein Stich mit einer Nadel oder ein Schnitt mit dem Brotmesser. Doch Schmerzauslöser sind vielseitig. Auch Unterversorgung im Körper kann Schmerz auslösen. Dabei verursacht die Anspannung im Körper Muskelverkrampfungen, was wiederum dazu führt, dass diese nicht optimal durchblutet werden. Während der Geburt ist es die Gebärmutter, welche durch diese Anspannung selbst und auch das Beckengewebe verkrampft, schlechter durchblutet wird und damit Schmerz auslöst. Dieses Schmerzempfinden führt wiederum zu Angst vor den möglichen Schmerzen der nächsten „Welle“. Und Angst bringt unser Nervensystem in Verteidigungshaltung. Ein Dominoeffekt tritt ein, welcher die Geburt aus körperlicher Sicht nebensächlich werden lässt, und an Entspannung und Wohlfühlen ist nicht mehr zu denken. Dabei ist unser Körper bestens auf Schmerzprävention vorbereitet. Unsere körpereigenen Schmerz-/Glückshormone, die Endorphine, sind in ihrer Wirkung um ein Vielfaches stärker als Morphium und, einmal freigesetzt, können sie uns in genau den Trancezustand versetzen, in welchem die Geburt als unvergesslich schön und überwältigend erlebt werden kann.

Und wie funktioniert‘s?
Das Training im Hypnobirthing-Konzept beschäftigt sich im Wesentlichen mit den Aspekten Atmung, Entspannung und Konzentration. Die langsame, bewusste Bauchatmung  soll während der Geburt die Wellenbewegung der Kontraktionen unterstützen. Progressive Muskelentspannung und gezielte Berührungsmassage durch den Partner tragen ebenfalls dazu bei. Zudem wird Wissen um den biologischen Vorgang der Geburt vermittelt, was hilft, das körpereigene Hormonsystem zu verstehen und zu „manipulieren“. Selbsthypnosetechniken sollen das Gehirn davon überzeugen, dass Geburt keineswegs Schmerz bedeutet. Leider ist diese Vorstellung tief in den Köpfen vieler Frauen verankert, geprägt von Erfahrungsberichten, von denen leider meist negative Darstellungen präsent bleiben, und von der nicht zu unterschätzenden Filmindustrie. Diese Vorstellung muss raus aus den Köpfen und Platz schaffen für das Bewusstsein, dass es lediglich unbegründete Angst ist, welche unnötige Anspannung und folglich Schmerz auslöst. Dieses Training der Selbsthypnose ist das A und O, um das Erlernte im „Erstfall“ abrufen zu können.

Ein weiterer starker Aspekt ist die Visualisierung. Bilder und allgemein optische Reize haben enorme Wirkung auf unser Befinden und unsere Gedanken. Die Vorstellungskraft wird daher ebenso in den Vordergrund gestellt wie die bewussten Gefühle und Gedanken. So wird beispielsweise das Kind im Geburtskanal mit voran schreitender Geburt als sich öffnende Blume dargestellt. Ebenso „sehe ich vor mir, wie unser Kind sanft aus meinem Schoss kommt“. Auch die Aufarbeitung einer vorgängigen, traumatischen Geburt setzt gezielt auf bildliche Vorstellung. Die Hypnobirthing-Trainerin Jasmin Salazar Velez beschreibt die Möglichkeit „gedanklich im Buch seines Lebens blättern und die Seiten mit negativen, angstbesetzen Bildern herauszureissen“.

Hypnobirthing für Skeptiker
Das Wort Hypnose löst zuweilen nicht nur Interesse aus. Abschätzig sprechen Skeptiker von Pendeln und Fremdbestimmung, von alberner Zurschaustellung willenloser Menschen. Heute hat die Hypnose jedoch als erfolgreiches Therapiekonzept auch in weiteren medizinischen Bereichen wie Zahnbehandlungen oder Chemotherapien zur Krebsbekämpfung Einzug erhalten hat. Die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnosetherapie (DGH), Helga Hüsken-Janssen vergleicht die Anwendung mit der Konzentrationsphase eines Hochleistungssportlers, „der in den Tagen vor einem Wettrennen immer wieder dieselbe Strecke in Gedanken abfährt und sich dabei überzeugt, den Parcours perfekt meistern zu können.“ Willenskraft, Vorstellungsvermögen und das Wissen um die muskulären und hormonellen Abläufe der Geburt haben eine Technik auf den Plan gerufen, welche vielleicht erst von wenigen Jahrzehnten entschlüsselt wurde aber seit Menschengedenken funktioniert.

Marianne Meyer